Mein erstes Lehrjahr als Buchbinderin
Cindy
Letztes Jahr im August habe ich meine Ausbildung zur Buchbinderin im Bereich Einzel- und Sonderanfertigung begonnen und mir damit einen meiner größten Träume erfüllt. Seit ich mit 11 Jahren “Tintenherz” gelesen habe, gab es keinen anderen Berufswunsch für mich. Mittlerweile ist das erste Lehrjahr vorbei und ich dachte, es wäre vielleicht für einige von euch interessant, ein paar Eindrücke von der Buchbinderausbildung zu bekommen.
Ich habe in den letzten Monaten einige wichtige Lektionen gelernt. Eine der größten Herausforderungen zu Beginn der Ausbildung war das lange Stehen. Frisch aus dem Studium (bei dem man entweder im Hörsaal oder vor dem Laptop sitzt) war ich es natürlich nicht gewohnt, acht Stunden hintereinander stehend zu verbringen und dazu noch körperliche Arbeit zu leisten. Denn der Job als Buchbinder ist wirklich anstrengend. Man muss Gewichte anheben (zum Beschweren der Produkte), einige Bögen an Papier (ich sag euch, Papier ist verdammt schwer) und Geweberollen (teilweise echt unhandlich und so schwer, dass man sie nur zu zweit tragen kann) durch die Gegend tragen. Hinzu kommt, dass ich meine Ausbildung nicht in einer rein handwerklichen Buchbinderei absolviere. Der weitaus größere Teil besteht aus der industriellen Buchproduktion und natürlich muss man da immer wieder mit anpacken. Stundenlang Bogen einlegen oder am Transportband stehen geht ganz schön auf den Rücken.
Nach ein paar Wochen gewöhnt sich der Körper aber an diese Arbeiten. Mittlerweile macht mir das Stehen gar nichts mehr aus und ich merke, dass mein Kreislauf im Sitzen (beispielsweise an den Wochenenden) gar nicht mehr richtig in Schwung kommt 🙂
Natürlich arbeitet man mit verschiedenen scharfen Gegenständen wie diversen Messern, Ahle und Nadel. Kleine Schnitte, vor allem am Papier bleiben da nicht aus, dasselbe gilt für Blasen, aber auch daran gewöhnt man sich. Die Hornhaut an den Händen kommt mit der Zeit ganz von selbst.
In den ersten Wochen der Ausbildung habe ich erst einmal nicht allzu viel gelernt, sondern musste da und dort mit anpacken. Jeder Betrieb händelt das anders. Mein Chef wollte mich in den ersten Wochen und Monaten auf Arbeitstauglichkeit testen, gerade weil dieser Job körperlich fordernd ist.
Die ersten Lehrarbeiten waren dann natürlich sehr aufregend. Begonnen hat es mit dem Fertigen eines Stülpdeckelkastens. Ja, ein Buchbinder fertigt nicht nur Bücher, sondern auch Kästen, Schachteln, Schuber, sogar Papierkörbe (in konischer Form…eine meiner unliebsamsten Aufgaben).
Nach vier Tagen Lehrarbeit für den Kasten begann der erste Berufsschulblock. Über die Berufsschule möchte ich gar nicht viele Worte verlieren. Für mich, die ich vom Gymnasium komme und bereits ein Studium absolviert habe, ist es echt schwer, die Berufsschule überhaupt ernst zu nehmen. So viel dazu 😉
Da ich für diesen Beruf brenne und am liebsten alles jetzt sofort lernen möchte, war es teilweise echt schwer zu akzeptieren, dass der geringste Teil der Zeit für Lehrarbeiten ausgelegt ist. Wenn ich wochenlang in der Halle (ich unterteile in Halle, also Industrie, und Sortiment, also Werkstatt) eingesetzt wurde, hat das schon sehr an mir geknabbert. Teilweise erfolgte der Wechsel vom Sortiment in die Halle so abrupt, dass Lehrarbeiten nicht richtig abgeschlossen wurden. Es verging fast ein halbes Jahr, bis ich wieder einen Kasten fertigen durfte und das hat sich bemerkbar gemacht. Die Routine ist das allerwichtigste. Wenn man bestimmte Handgriffe oft genug macht, gehen sie in Fleisch und Blut über. So jedoch stand ich vor der Pappe und dem Gewebe und war völlig verzweifelt, wo ich welchen Schnitt setzten musste. Nach zwei Wochen Kästenbauen saßen die Handgriffe jedoch.
Jeder lernt anders und ich muss neue Dinge oft genug üben bzw. fertigen, bis ich sie beherrsche. Daher hab ich mit den kurzen Lernintervallen oft Probleme, da der Plan kaum Zeit vorsieht, um das neu gelernte zu festigen und sich auszuprobieren.
Es gibt jedoch kaum ein schöneres Gefühl, als zu sehen, wie sich das Üben auszahlt und man endlich Fortschritte erkennen kann. Es hat Wochen gedauert, bis ich gerade Kanten hinbekommen habe, bis ich den Leim richtig einschätzen konnte oder mein Auge geschult war. Denn wir arbeiten in diesem Beruf mit Millimetern. Einer mehr oder weniger bestimmt über die Genauigkeit des Endprodukts. Die Dinge, auf die man achten muss, kristallisieren sich mit der Zeit heraus. Es gibt keinen genauen Fahrplan, wie was funktioniert, sondern man muss seinen eigenen Weg finden. Solange am Ende ein gutes und haltbares Produkt herauskommt, ist das eigentlich egal.
Es war aufregend zu lernen, wie man Bogen falzt und einen Buchblock heftet, das erste Mal eine Buchdecke anzufertigen, Kapitalband auszuwählen und einen Titel zu prägen. Die Momente, in denen etwas schief geht und man Dinge in die Tonne werfen muss wiegen die Momente, in denen es endlich funktioniert wieder auf.
Für diese Ausbildung braucht man definitiv handwerkliches Geschick und ein gutes Auge. Man muss viel rechnen und messen und oft kommt man nur durch probieren ans Ziel. Man sollte sich auch nicht davor scheuen, sich die Finger (und Kleidung) schmutzig zu machen. Arbeitet man mit Heißleim, dann werden die Finger definitiv leimig. Spätestes beim Putzen der Leimmaschine muss man in den Leim fassen. Ich persönlich finde das nicht schlimm, immerhin arbeite ich fast jeden Tag damit.
Ich bin vermutlich mit einer zu rosaroten Brille in die Ausbildung gestartet. Ich wusste natürlich, dass ich nicht wie Mortimer Folchart mit einem Bus durch die Gegend fahre und Bücher verarzte. Dennoch habe ich mir mehr Handwerk vorgestellt. Mittlerweile habe ich jedoch diese Mischung aus Handwerk und Industrie lieben gelernt. In einer reinen Werkstatt stehen keine Falzmaschinen und man weiß nicht wirklich, wie hohe Auflagen produziert werden. Das alles sehe ich tagtäglich. Natürlich liebe ich es, mehrere Tage im Sortiment zu verbringe, neue Dinge zu lernen oder bereits gelernte Sachen zu festigen. Doch nun weiß ich, was mich erwartet und ich bin so gespannt auf alles, was ich im zweiten Ausbildungsjahr lernen werde! Hochs und Tiefs gehören zum Leben dazu, und das bedeutet, es gibt auch gute und schlechte Tage in der Ausbildung. Das ist nicht nur hier so, sondern auch überall sonst. Wenn man jedoch mit Leidenschaft dabei ist und ein Ziel vor Augen hat, dann beißt man sich durch alles durch.
Wenn ihr mögt, verfasse ich nach dem Ende der Ausbildung gern noch ein Abschlussfazit. Im ersten Lehrjahr habe ich ja bisher nur die Basics gelernt. Das Arbeiten mit edleren Materialien wie Leder oder Pergament kommt ja erst noch, genauso wie das Bauen von Schubern etc.
Sagt mir in den Kommentaren gern, wie eure Ausbildung war.