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Sally Rooney: Schöne Welt, wo bist du

Cindy

Seit ich letztes Jahr „Gespräche mit Freunden“ und „Normale Menschen“ verschlungen habe, fieberte ich dem neuen Sally Rooney entgegen. Als im Frühjahr dann „Schöne Welt, wo bist du“ angekündigt wurde, habe ich mich sehr gefreut. Dieser Roman ist zu 100% Sally Rooney. Wer ihre ersten beiden Bücher mochte, dem wird auch dieses hier gefallen.

Bei Rooney geht es nicht so sehr um den Plot als viel mehr um das Innenleben ihrer Charaktere und deren Beziehungen zueinander und zur Welt. In „Schöne Welt, wo bist du“ lässt die Autorin ganz verschiedene Charaktere aufeinandertreffen. Es gibt die beiden Freundinnen Alice und Eileen, die sich während des Studiums in Dublin kennengelernt haben. Alice ist Schriftstellerin, hat zwei Romane veröffentlicht und sehr erfolgreich. Da lassen sich gewisse Parallelen zur Autorin selbst erkennen. Eileen war während des Studiums sehr ehrgeizig und hat viele Auszeichnungen erhalten, arbeitet seit fast zehn Jahren nun aber für ein kleines Magazin. Sie hat das Gefühl, in ihrem Leben nichts erreicht zu haben und festzustecken. Und obwohl Alice sehr erfolgreich ist, geht es ihr ähnlich. Hinzu kommt jedoch, dass Alice‘ Psyche sehr instabil ist.

Rooney stellt beiden Frauen einen männlichen Gegenpart zur Seite. Simon ist Eileens bester Freund, beide wuchsen zusammen auf. Er ist Politiker und Kirchgänger, doch seine Definition von Religion ist anders. Man möchte fast meinen „moderner“. Alice denkt, Simon hätte einen Märtyrerkomplex, da er immer gibt und nie nimmt. Als Leser fragt man sich permanent, warum die Figuren so sind, wie sie sind. Welche Ereignisse haben sie zu dem gemacht, der sie sind?

Alice zieht an die irische Küste und lernt dort Felix kennen, einen Mann der Arbeiterklasse. Felix nimmt das Leben, wie es kommt. Im Gegensatz zu den anderen Charakteren wirkt er nicht sehr intellektuell – ein gerissener Schachzug Rooneys. Alice und Felix wirken auf den ersten Blick absolut verschieden und doch haben sie mehr gemeinsam, als man denkt.

Das gilt im Grunde für alle Charaktere. Oberflächlich betrachtet denkt man, man hat sie durchschaut und doch kann man sie niemals richtig greifen. Was ich persönlich sehr schön fand, war der Briefwechsel zwischen Alice und Eileen. Beide schreiben sich Mails, die sehr literarisch und politisch sind. Sie diskutieren die Weltpolitik, Geschichte, aber auch die Dinge, die sie gerade beschäftigen. Als junger Mensch findet man sich in jedem der vier Charaktere wieder. In der Künstlerin Alice, der zweifelnden Eileen, dem sanften Simon und dem hinterfragendem Felix. Die vier ergänzen sich wunderbar.

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© Ullstein Buchverlag

Rooney bringt die Charaktere oft in beklemmende Situationen, in denen man sich auch als Leser unwohl fühlt. Obwohl immer eine gewisse Distanz zu den Figuren herrscht, kann man sich doch teilweise sehr gut in sie hinein versetzten.

Rooneys Romane werden oft als „brandaktuell“ bezeichnet und in gewisser Hinsicht stimmt das. Keiner versteht sich so gut darauf, die aktuelle Gefühlswelt der Mittzwanziger/ Anfang Dreißiger einzufangen, wie sie es tut. Im Grunde stellen wir uns alle genau die Fragen, mit denen sich auch die Charaktere der Geschichte umtreiben.

Vieles aus Rooneys Romanen bleibt hängen. Ich mochte es beispielsweise sehr, als Eileen sagt, dass für sie das Schönste am Menschsein die Fähigkeit zu lieben sei. Rooney schafft es, einfache grundlegende Wahrheiten literarisch hochwertig zu verpacken. Man muss ihren Sätzen aufmerksam folgen, da sie inhaltlich und auch was den Ausdruck angeht, anspruchsvoll schreibt. Ihre Romane kann man nicht nebenbei lesen, sie erfordern volle Aufmerksamkeit. Und doch ist es nicht anstrengend, finde ich. Ich genieße ihre Bücher Zeile für Zeile, weil keiner so schreibt wie Sally Rooney es tut. Es ist auf eine seltsam beklemmende Art wunderschön.

Ich mochte „Schöne Welt, wo bist du“ sehr gern. Es las sich ganz wunderbar und hat viel zum Nachdenken angeregt. Rooney beschreibt wie kein anderer Gefühle und Gedanken, ohne Emotionen explizit zu benennen. Man tappt viel im Dunkeln und kann die Stille zwischen den Wörtern mit eigenen Gedanken füllen.

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