Sophie Gonzales: Nur fast am Boden zerstört
Cindy
„Nur fast am Boden zerstört“ hat mich alle Emotionen durchleben lassen, die ein gutes Buch ausmachen – es war witzig, humorvoll, es ging ans Herz, es war schmerzhaft und tat weh, hat mich zum Lachen und zum Weinen gebracht und mich durchweg begeistert! Ich glaube, ich habe ein neues Lieblingsbuch gefunden.
Im Mittelpunkt der Handlung steht Ollie. Er hat den Sommer in North Carolina verbracht, weil seine Tante an Krebs erkrankt ist und seine Familie zur Unterstützung näher bei ihr sein wollte. Dort lernt er Will kennen und die beiden verlieben sich ineinander und verbringen den Sommer zusammen. Doch danach platzt Ollies glücklicher Traum plötzlich, denn Will meldet sich nicht mehr bei ihm. Dabei muss Ollie ihm doch unbedingt sagen, dass seine Familie beschlossen hat, vorerst in North Carolina zu bleiben. Auf der neuen Highschool trifft er dann auf Will, doch dieser Will hat sich noch nicht geoutet und steht nicht zu Ollie. Doch er kann den Sommer allem Anschein auch nicht vergessen.
Sophie Gonzales schreibt wunderbar frisch und einzigartig. Man hat das Gefühl, direkt in Ollies Kopf zu sein und ungehindert an seinen ungefilterten Gedanken teilhaben zu können. Für seine zarten 17 Jahre ist Ollie unglaublich reif und dennoch denkt er wie der Jugendliche, der er ist. Er hat Ängste, Träume und Hoffnungen, die jeder, der mal verliebt war oder in einer ähnlichen Situation steckte, nachvollziehen kann. Er hat sein Coming Out an der alten Schule schon hinter sich und weiß genau, wer er ist. Und das war das Schöne an diesem Buch: Ollie weiß, wer er ist und hinterfragt das Verhalten der anderen kritisch, ohne sie jedoch bloßzustellen. Manchmal hätte ich mir gewünscht, dass er den Mund aufmachen und laut sagen würde, dass er die Situation unangenehm findet. Ich finde, man lernt so viel aus seinen Gedanken und irgendwann nimmt man sogar als Leser wahr, dass manche Charaktere sich gegenüber seiner Homosexualität einfach ein wenig ignorant verhalten.
Gonzales hat viele Themen aufgegriffen, die Jugendliche beschäftigen. Das erste Mal verliebt sein, familiäre Probleme, Ängste und Trauer, Identität und Sexualität, Freundschaft und Zukunftspläne. Sie stellt Ollie eine Mädelsclique an die Seite, die nicht perfekt ist, aber zusammenhält, wenn es darauf ankommt. Jeder Nebencharakter hat eine ganz eigene Persönlichkeit und ist nicht bloß schmückendes Beiwerk, um dem Protagonisten zu Glanz zu verhelfen. Vor allem Lara konnte mich beeindrucken. Anfangs mochte ich sie gar nicht, doch zum Ende hin hat sie sich in mein Herz geschlichen.
Es war interessant zu sehen. Wie unterschiedlich die Charaktere mit ihrer Sexualitt umgegangen sind. Ollie versteckt sich nicht, aber er möchte nicht auf seine Homosexualität reduziert werden. Die Mädels drängen ihn anfangs in ein bestimmtes Bild, doch er beweist, dass er mehr ist als das, was andere in ihm sehen wollen. Will hingegen ist so darauf bedacht, sein gutes Image zu wahren, dass er sich selbst vernachlässigt und Ollie damit verletzt. Und doch kann man ihm keinen Vorwurf machen. Die Diskussionen zwischen beiden sind so menschlich und so nachvollziehbar. Mein Herz hat mehr als einmal geblutet.
Was mich jedoch am meisten beeindruckt hat, war der familiäre Aspekt des Buches. Ollies Eltern kümmern sich um seine Tante, die an Krebs erkrankt ist und zwei kleine Kinder hat. Ollie passt ohne sich zu beklagen auf die beiden auf, was ich wunderschön fand. Für ihn steht Familie an erster Stelle. Der Schatten, den der Krebs über alle wirft, ist permanent greifbar und auch Ollies Ängste und Gedanken dazu sind so echt. Ich konnte seine Gedanken so gut nachvollziehen, vermutlich wie jeder, der schon einmal so etwas erlebt hat. Gonzales hat es geschafft, Gedanken zu Papier zu bringen, die man selbst hegt und die universell sind.
Ich bin absolut begeistert von diesem Buch und der Tiefe, mit der es mich berührt hat. Ollies Geschichte ist wunderschön, sowohl vom Inhalt als auch vom Schreibstil her. Ganz ganz große Empfehlung.